Der Staat Kapitel 12

Carik tritt einen Schritt von uns zurück, kündigt an:

"Mal sehen, was in euch steckt. Luko! Haran!", ruft er die beiden herbei, fügt dann, an uns gewendet hinzu:

"Keine Angst, sie mögen brutal wirken, aber ihr beide habt ihnen eines voraus", er tippt sich lächelnd an den Kopf:

"Hirnmasse." Beruhigend...

Carik tritt einen Schritt von uns zurück, kündigt an:

"Mal sehen, was in euch steckt. Luko! Haran!", ruft er die beiden herbei, fügt dann, an uns gewendet hinzu:

"Keine Angst, sie mögen brutal wirken, aber ihr beide habt ihnen eines voraus", er tippt sich lächelnd an den Kopf:

"Hirnmasse."

Wie angekündigt, freundlich wirken die beiden nicht. Groß, breitschultrig, Hände wie Bratpfannen. Skeptisch werfe ich einen Seitenblick auf Aran. Ich soll also zusammen mit diesem, wie auch immer zu attributierenden Kerl gegen diese zwei vor mir kämpfen? Wieso überhaupt kämpfen? Teetrinken wäre doch viel angenehmer...

"Ahm", mache ich.

Mein Partner neben mir scheint Lukos und Harans Erscheinungsbild nicht im Geringsten zu stören. Stattdessen beginnt er, sich ein wenig zu strecken, drückt die Finger durch, so als würde das ein Kinderspiel werden. Carik drückt uns ein kleines Gerät in die Hände:

"Wenn ihr die beiden damit berührt, gewinnt ihr, treffen sie euch zuerst, verliert ihr. Wer es zu spüren bekommt, ist raus. – Viel Glück", wünscht er uns mit einem bedeutsamen Blick auf seinen Sohn, welcher nun dazu übergegangen ist, seine Schulter ein paar Mal kreisen zu lassen und sich in einer leichten Hocke den beiden Hünen gegenüber in die Mitte des Mattenbodens zu stellen.

"Kris, kommst du?", ruft er mich hinterher.

Verloren stelle ich mich neben ihn, betrachte das Ding in meiner Hand. Es ist nicht viel mehr, als ein kurzer, dicker, schwarzer Stab – vollkommen unscheinbar.

"Stimmt etwas nicht?", bemerkt Aran meinen fragenden, unsicheren Blick.

"Nein, ich habe so etwas nur noch niemals zuvor gemacht...", murmle ich, instinktiv vor meinen zwei Kontrahenten, welche nun gegenüber von uns Stellung beziehen, zurückweichend.

"Den Feuer-Tunnel-Test hast du auch nicht zuvor gesehen, ihn trotzdem bestanden, sogar, wie es heißt, mit persönlicher Auszeichnung des Großen Bosses", wendet er vollkommen cool, von sich, mir und der Welt überzeugt, ein.

"Hm", mehr kommt nicht von mir zurück.

Carik tritt zwischen uns:

"Seid ihr bereit?"

Luko und Haran nicken langsam, hämisch siegessicher grinsend. Aran gibt sein Okay übermäßig gelassen. Meines kommt zwar etwas verspätet, aber doch.

"Nun denn", Carik tritt zurück:

"Beginnt!"

Langsam und bedrohlich erheben sich unsere Gegenüber aus ihrer leichten Hocke, bewegen sich, immer einen Schritt, schon fast in Zeitlupe vor den anderen setzend, auf uns zu.

Knappe fünf Meter trennen uns. Aran springt einige Male auf den Zehnspitzen auf und ab. Nervös umklammere ich das Ding in meiner Hand noch fester. Was soll ich tun? Ich habe doch keine Ahnung, wie man so etwas macht! Erklärung? Irgendeine Art von Hilfe?

Wenigsten auf einen kann ich mich verlassen:

"Unsicherheit erkannt. - Sie befinden sich soeben in einem 2 gegen 2 Tag-Battle. Bleiben Sie in Bewegung! Wenn Sie stehen bleiben, ist es aus", erklärt mir die Computerlady in meinem Ohrstöpsel. Na das ist doch schon einmal etwas. Fragt sich nur, wie ich denn nun entweder Luko oder Haran taggen kann, ohne es von ihnen zu werden...

Jetzt stehen sie in Reichweite zu uns. Nur Arans harsche Warnung bewahrt mich vor einem Treffer:

"Kris, beweg dich!"

Und plötzlich, ohne mein bewusstes Zutun, bewegt sich mein Körper. Es ist dasselbe Gefühl wie zuvor im Feuer-Tunnel-Test. Ich weiß, was ich tue, weiß, dass es richtig ist, weiß aber nicht, wieso ich es mache. Irgendwie kommt es mir so vor, als ob, je mehr ich mich darauf konzentriere, dieses Gefühl schwächer wird, desto unbeholfener, ungeplanter werden meine Bewegungen.

Unbewusst schließe ich die Augen, tauche gerade noch so unter einem Schwung von Luko hinweg, entgehe mit einer flinken Drehung Harans Stoß, rutsche dann auf den Zehenspitzen einige Zentimeter nach hinten, sodass Lukos Arm knapp vor meiner Nase vorbeizischt, bevor schließlich ich meinen ersten Angriff starte. All das geschieht, ohne dass mein Bewusstsein direkt eingreift, es ist so, als wäre ich Mitfahrer im eigenen Körper – auf Autopilot geschalten. Wieso aber? Warum kann ich das plötzlich so gut, weiche Schlägen und Hieben aus, die ich eigentlich nie hätte kommen sehen. Fast kommt es mir so vor, als könnte ich in die Zukunft sehen – nein, eigentlich nicht – es ist mehr,...genau in dem Moment, in dem etwas geschieht, weiß ich, wie es geschehen wird und kann dem mir schadende Geschehen ausweichen, es vermeiden.

Mein flinker Schritt nach vorne bleibt erfolglos, da Luko sich ebenfalls bewegen kann, nach links ausweicht. Statt zu treffen, werde ich es fast selbst. Gewandt springe ich über Harans tiefen Schwung gegen meine Beine, hechte nach vorne, rolle mich flüssig ab und stehe sofort wieder.

Aran neben mir lächelt mir zu:

"Siehst du?", springt dann mit vollem Einsatz Haran in den Weg, rutscht über die Matten, rechts an seinen Beinen vorbei, fegt ihn von den Füßen, trifft ihn mit dem Tagger. Triumphierend steht er über dem bewegungslos schnaubenden Haran.

"Aran, hinter dir!", will ich ihn noch warnen. Doch da ist es schon zu spät, Luko trifft seinen Hinterkopf mit der vollen Wucht seiner geballten Faust, muss nicht einmal mehr den Tagger ansetzen. Aran geht getroffen in die Knie, sackt zusammen, bleibt Haran gleich einfach so liegen.

Entgeistert spielt sich die Szene noch einmal in meinem Kopf ab. Angst, ja Angst jagt durch meine Venen. Ein einziger Schlag – ein einzelner Schlag!

Wieso tue ich das?

Erneut meldet sich die Computerdame mit ihrer monotonen Stimme, was der Botschaft trotzdem keinen Abbruch tut:

"Ewiger Ruhm und nie endende Ehre jenem, der die V-Klasse abschließt, dem Staat dient!"

Meine Sicht verschwimmt, meine Beine durchzuckt ein einzelner Impuls. Lukos Sturmangriff geht ins Leere, stolpert über meinen Fuß, den ich zu spät – oder genau richtig nicht – zurückziehe.

Leider kommt er mir zuvor, sich aufzurappeln, als ich die Sache beenden will. Nur ein Hechtsprung nach hinten mit Rückwärtsrolle bringt mich von seinem explosiven Angriff weg.

Wie soll ich das machen? Moment mal, was meinte Carik vorhin: 'Ihr habt ihnen eines voraus – Hirnmasse.' Luko ist langsamer als ich, hat eine größere Masse, deshalb mehr Trägheit, außerdem scheint er sich nur noch darauf zu konzentrieren, mich auszuschalten.

Und schon bin ich weg, bringe rasch mindestens zwanzig Meter zwischen uns. Dann bleibe ich stehen, drehe mich um, blicke ihm tief in die Augen, wie er da schwerfällig aufsteht, sich einmal mit dem Handrücken über den Mund fährt. Wütend starren mich seine Knopfaugen aus ihren tiefen Höhlen heraus an.

"Was ist?", will ich wissen, lege unbewusst eine gehässige Aufforderung in meine Stimme:

"Bist du etwa hingefallen?", säusle ich. Hä?, woher kann ich denn das auf einmal?

Knurrend kommt es von ihm zurück:

"Du..." Er hebt eine Hand, führt eine Geste aus, als stelle er sich soeben vor, mich zwischen seinen Fingern zu zerquetschen.

"Versuchs doch", rufe ich ihn grinsend heran. Noch nie hatte ich solche Angst, wie gerade eben. – Eigentlich hatte ich noch nie Angst, außer seit dem Moment, als ich Naan getroffen habe. Doch das jetzt, ist schlimmer als alles zuvor.

Mit einem wütenden Aufschrei stürmt Luko, schnaubend wie ein wütender Zuchtbulle auf mich zu.

Bin ich mir überhaupt so sicher bei dem, was ich hier gerade mache? Offenbar, sonst würde ich definitiv nicht stehen bleiben.

Er kommt immer näher, die Zeit scheint sich zu dehnen, wie ein zäher Einmachgummi. Die einzelnen weißen Stellen, welche man zuvor gar nicht sah, kommen zum Vorschein. Jedes einzelne Detail von Lukos Körper tritt hervor, seine dicken Oberarme, breiten Schultern und sein mächtiger Brustkorb.

Dort, in seiner rechten Hand hält er den Tagger, von mir aus gesehen, muss ich also gerade im letzten Moment nach rechts springen.

Jetzt!

Wie in Zeitlupe brettert er an mir vorbei, dreht verwundert seinen Kopf nach mir um, will mich noch mit dem Tagger erwischen, wie ich da so über die Matten schlittere, stolpert, als er abrupt versucht, die Richtung zu wechseln. Schlagartig kehrt die Welt wieder zurück zum normalen Tempo.

Wenn neunzig Kilogramm Muskelmasse die Kontrolle über sich selbst verlieren...

Verdutzt, verwirrt und unkontrolliert stolpert Luko, fällt genau auf seinen rechten Arm, fährt mit dem Gesicht in den Boden ein. Stöhnend liegt er dort, einige Meter von mir entfernt.

Es scheint nicht so, als wolle er noch einmal aufstehen.

Vorsichtig beuge ich mich über ihn, setzte den Tagger an.

Sein Oberkörper fährt hoch, trifft mein Kinn mit voller Wucht. Getroffen torkle ich zurück, stürze rücklings zu Boden. Das letzte, was ich höre, ist ein metallisches Knirschen, das letzte was ich fühle, etwas weiches, feuchtes, von meiner Stirn Zerdrücktes.

 

Ich habe verloren.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0