Der Staat Kapitel 13

Verschwommen nur nehme ich die Welt um mich herum wahr. Weiß, gleisend helles Licht, schnelle Schritte, unzählige Personen, laute, unverständliche Stimmen, sie heben mich hoch. Klackernde Räder drehen sich unter mir, verwirrt lege ich benommen den Kopf zu Seite. Irgendjemand beugt sich über mich, seine Worte sind nichts als ein an- und abschwellendes Wiederhallen. Knallend schlagen Türen auf und dann wieder zu, die Welt wird etwas dunkler.

Stille.

 

 Er läuft, sprintet durch die Straßen. Hinter ihm nichts als Todesjäger.

"Kris!, pass auf, was du tust!", donnert es.

 

"Hm", murmle ich, greife mir an den Kopf, schlage vorsichtig blinzelnd die Augen auf. Einsam, irgendwie verloren läge ich auf diesem Bett in diesem Zimmer, würde ich nicht irgendwo von links hinter mir eine Bewegung hören. Jemand tritt an mich heran.

Vorsichtig, besorgt vernehme ich Milets Stimme:

"Kris?"

"Hah?"

"Gut, du bist wach." Erleichtert kommt er in mein Blickfeld.

"Was ist passiert?", brumme ich undeutlich.

"Luko hat dich bewusstlos geschlagen. Der Arzt meinte, du bräuchtest einfach etwas Ruhe", er holt einmal tief, sich selbst beruhigend, Luft:

"So hat man dich hierher gebracht und mich als Aufpasser hergeschickt."

"Aah", mache ich langsam, das Kopfweh allmählich loswerdend.

Er legt etwas auf ein kleines Tischchen neben meinem Kopf.

"Dein Ohrstöpsel und die Linse sind zu Bruch gegangen, das Armband haben sie dir für den Moment abgenommen. Du solltest die neuen anlegen – wenn die XrichtigeX Zeit gekommen ist", betont er, so als wäre das nicht genau dieser Moment. Was ich irgendwie komisch finde, schließlich hat man mir doch gesagt, ich solle diese drei Dinge immer bei mir tragen?

Ach was soll's. Erschöpft sinkt mein Kopf tief in das weiche Kissen, murmle noch:

"Danke."

 

"So, genug Training für heute", meint der Große Boss.

"Ich gebe die Meldung durch." Ein Mann tippt irgendetwas auf einer Tastatur, schlägt die Enter-Taste an, erinnert anschließend:

"Kris liegt noch immer im Krankenzimmer. Soll ich ihn wie die anderen auch nach Hause schicken?"

Kurz zögert der Große Boss, entscheidet dann:

"Nein, lass ihn. Carik soll ihn heimbringen, sobald sich Kris von der Behandlung erholt hat."

 

Frage ich mich das zu Unrecht? Wieso kam es mir gerade so vor, als wäre das, was sich gerade in meinem Kopf abgespielt hat, wirklich so geschehen – während ich 'dabei' war?!

Noch einmal öffnet und schließt sich die Tür.

Milet befindet sich nicht mehr im Raum, dafür tritt jemand anderes ein. Freundlich kommt Junos' Stimme näher:

"Und Kris, wie geht es dir?"

"Gut...", brumme ich müde. Er stellt sich ans Fußende des Bettes.

"Wie fühlt sich dein Kopf an?"

"Gut..."

"Was ist los? Stimmt etwas nicht?", fragt er hilfsbereit nach.

"Nein, ich hatte nur irgendwie zu wenig Schlaf..."

"Aber du bist jetzt mindestens fünf Stunden hier gelegen, wovon du sicher mehr als viereinhalb verschlafen hast", wiederspricht Junos stirnrunzelnd:

"Ich glaube eher, der heutige Tag hat dich einfach nur zu sehr geschlaucht?", stellt er mehr fest, als dass er fragt.

"Heute ist...so viel...Schlechtes passiert. Alle sind einfach nicht so, wie man sein sollte. Überall streiten sie...", vertraue ich mich ihm an. Tief und lange seufzt er.

"Ja, da magst du Recht haben. Doch denk einmal an all das Neue, das du heute gelernt hast. Jene Nicht-V-Klassen-Schüler erfahren niemals davon, dass es so etwas überhaupt gibt. – Das, was du heute erlebt hast, war Prahlerei. Je besser jemand in etwas wird, desto mehr will er sich damit brüsten. Deine heutigen Erlebnisse sind also nichts Schlechtes, sondern nur ein Zeichen dafür, dass du und alle anderen V-Klässler etwas besser seid als der Rest. Ihr alle seid großartig und das beweist jeder einzelne mir jeden Tag aufs Neue. – Auch du Kris. Ruhm und Ehre wirst du ernten", erklärt er, hängt an:

"Der Staat, der Eine und Einzige.

Hier ist euer Glück, hier ist eure Zukunft.

Gemeinsam für alle, alle für die Gemeinsamkeit!"

Einige Momente lässt er die Worte auf mich wirken. Hm, das klingt doch einmal wirklich gut. Etwas Großartiges, Besseres zu sein. Ehre und Ruhm.

"Ich sehe dich dann morgen. Carik sollte gleich kommen, er wird dich heimbringen. Vergiss nicht, Linse, Ohrstöpsel und Armband wieder anzulegen.", ermahnt er mich und wünscht mir:

"Gute Nacht."

Keine zwei Minuten später ist der Kommandant des V-Kommandos dann auch schon bei mir. So langsam wird das nervig mit dem freundlichen:

"Wie geht es dir?" Ich weiß, sie meinen es alle nur gut, aber DREI hintereinander sollten dann doch genügen. Hoffentlich kommt nicht noch jemand...

"Ich will nach Hause", äußere ich meinen Wunsch.

"Da bringe ich dich hin. Hier", er legt mir meine Schuluniform auf den Tisch:

"Zieh dich an, ich warte vor der Tür."

Hose, Hemd, Sakko, Socken, Schuhe. Armband? Ohrstöpsel? Linse? So sehr ich Milet vertraue, habe ich doch keinen irgendwie gearteten, blassen Tau, was der richtige Moment ist!

Kurzerhand und unentschlossen stecke ich die drei Objekte einfach ein, trete dann durch die Tür auf den hell erleuchteten Gang hinaus. Keine Ahnung meinerseits vorhanden, wie spät es ist.

"Können wir los?", will Carik erfahren. Knapp nicke ich.

Mehr als geschätzte fünf Minuten lang führt er mich durch das Labyrinth aus weißen Gängen zurück hinaus auf den asphaltierten Hof, der nun still und einsam im Flutlicht der Scheinwerfer vor der Kulisse der nächtlichen Stadt liegt. Der Kommandant geht weiter bis zu einem weiteren großen Wagen und bedeutet mir, neben ihm Platz zu nehmen.

Gleichmäßig schnurrend springt der Motor an. Die Wache öffnet diensteifrig per Knopfdruck das Tor

Und schon sind wir auf dem Weg. Endlos lange scheint sich das Netz von Straßen vor uns auszubreiten. Es kommt mir plötzlich so gar nicht richtig vor, so weit von Zuhause weg zu sein. Mit dem Bus fahre ich genau sieben Minuten zweiunddreißig. Hingegen zeigt mir ein knapper Blick auf die Borduhr, dass wir nun schon mindestens zwölf Minuten unterwegs sind.

Was aber noch verwirrender ist: Es ist bisher kein Wort zwischen mir und Carik gefallen. Irgendwie habe ich das Gefühl, ein Gespräch beginnen zu sollen. Wie aber, ohne Thema?

Nach zähen Momente der immer drückender werdenden Stille im Fahrraum hilft Carik mir schließlich aus der Bredouille.

"Wie hat dir dein erster Tag bei der V-Klasse gefallen? – Hast du bereits etwas Neues gelernt?"

"Gut. Es ist vollkommen anders als normal. Junos meinte, das sei normal. Ihr Sohn kann wirklich gut kämpfen, das habe ich erfahren – und, dass die Welt aus mehr als nur Zahlen, Buchstaben und Zeichen besteht." Er lacht auf:

"Bitte, nenn mich Carik. – Ja, Aran ist gut. Aber du vergisst etwas", kurz lässt er das so im Raum stehen, als müsste ich die Antwort eigentlich wissen:

"Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber wer hat Luko zu Fall gebracht?"

Wieder Pause. Oooh, darauf wollte er hinaus. Carik fährt stolz fort:

"Aran kann kämpfen, daran besteht kein Zweifel, er hat ja auch lange genug dafür trainiert. Kris, du jedoch... – ich meine, das war heute dein erster Tag!"

"Schon... Trotzdem bin ich im Krankenzimmer aufgewacht..."

Carik gluckst bei all der Bescheidenheit.

"Da bist du aber nicht die Ausnahme. Du hättest Aran am ersten Tag erleben müssen..."

Der Wagen wird langsamer, bis der Kommandant verkündet:

"Wir sind da. Morgen fährst du einfach mit dem Bus in die Schule. Wo die V-Klasse liegt, weißt du eh. Ich wünsche eine gute Nacht. – Ach ja, ich würde dir raten, deine Gadgets nicht vor dem Duschen morgen früh anzulegen, die sind nämlich nicht wasserdicht, dafür gibt es Sonderanfertigungen", zwinkert er mir zu. Nun gut, also bleiben sie bis morgen in meiner Tasche.

Vollkommen mit meinen Kräften am Ende, falle ich in mein Bett.

Schlaf, alles, was ich jetzt will. Wäre da nicht diese Stimme:

"Kris, wie gut, dass wir uns wiedersehen." Geschockt reiße ich die Augen auf.

"Naan!, Wieso? - Was?..."

 

Innerlich kämpfe ich, soll ich ihn rausschmeißen? Was wird er mir wohl erzählen, tue ich es nicht?

Kommentar schreiben

Kommentare: 0