Der Staat Kapitel 25

Damit setzt sich Tihanas Geschichte, geschrieben von Christina Mair, fort.


27. April 2062, 8:36, Graslandschaft südlich von Wien

Das Gebrüll wird langsam leiser und auch der Rauch brennt nicht mehr so sehr in meinen Augen, je näher ich dem Wald komme. Meine Lungen verkrampfen und ich fühle ein Stechen in meinen Rippen, doch ich laufe weiter.

Etwas Anderes kommt nicht in Frage. Der Staat ist besser informiert, als ich dachte. Jetzt als "Gesuchte" wird es noch schwerer werden, Naan zu retten. Obwohl ich bereits von den Bäumen verschluckt werde, laufe ich weiter. Ich weiß nicht, ob ich mir die Schritte hinter mir nur einbilde, aber um ganz sicherzugehen bleibe ich nicht stehen. Nachdem ich im Wald komplett die Orientierung verloren habe, gönne ich mir eine Pause. Ich atme tief ein und aus. Langsam beginnt mein Herz wieder normal zu schlagen und meine Gedanken ordnen sich.


Ich bin bis vor die Grenze des Staates gekommen. Verdammt, ich wäre sogar rein gekommen, wäre die Nachricht von dem Vergiften meiner Eltern nicht so schnell an den Staat gelangt. Verzweifelt balle ich meine Fäuste. Was soll ich tun? Ich könnte versuchen, über das Kanalisationsnetzwerk in den Staat zu gelangen, allerdings ist dies wahrscheinlich auch strengstens überwacht. Zurück nach Hause zu gehen, ist ebenfalls keine Option, man wird mich sofort dem Staat ausliefern. Es gibt keinen Ort, wo ich hinkann. Ich habe keinen Plan, weiß nicht, wo sich Emi gerade aufhält, ob Naan und seine Freunde überhaupt noch am Leben sind. Schlimmer kann es kaum noch kommen. Doch etwas macht mich misstrauisch. Dieser Junge, der beobachtet hat, wie ich nervös während der Kontrolle dastand, trotzdem nichts getan hat. Wer ist er? Er wirkt nicht wirklich wie ein "Staatler", sondern anders. Grebnief Sirk, der letzte Code, könnte er etwas mit diesem Jungen zu tun haben? Erschöpft ziehe ich meinen Blazer aus. Am Boden suche ich einen Stock, beginne nachdenklich, den Code in die Erde zu ritzen. Plötzlich höre ich ein Knacksen. Ich umklammere den Stock als meine einzige Waffe. Keuchend sehe ich mich um. Niemand zu sehen, aber zu hören. Eine große Gruppe. Sie kommen näher.

Ohne noch lange zu überlegen klettere ich auf den nächsten Baum. Mein Blazer rutscht mir aus der Hand. Es ist zu spät, ihn zurückzuholen. Sie betreten die Lichtung. Natürlich wundern sie sich über den Blazer. Wo ich bin, fragen sie sich. Verkrampft harre ich aus. Nur die Hand will ich ausstrecken. Knack. Oh, verdammte *. Das war's. Dieser Junge von vorhin bemerkt es als einziger. Verwundert blickt er sich um. Habe ich noch einmal Glück im Unglück gehabt? "Was ist los Kris?", will der Anführer der Gruppe wissen. Kris…Sirk…Kris. Könnte es sein? Er schüttelt nur den Kopf: "Dachte, ich hätte etwas gehört." Der Anführer wirft einen Blick auf ein Gerät in seinen Händen. Dann flüstert er einem der anderen etwas zu. "Wir suchen weiter", verkündet der Anführer. Erleichterung durchströmt mich.

Wie aus dem Nichts trifft mich etwas Hartes auf den Hinterkopf. Sofort breche ich zusammen, falle vom Baum. Jemand nimmt meine Arme, zieht mich hoch und hält mich fest. Klack. Handfesseln werden mir angelegt. All mein Winden und Treten scheint zwecklos. Ein Mann tritt vor zieht meinen Kopf an meinen Haaren hoch, während mich ein anderer immer noch festhält. "Ja sie ist es", sagt der kleine Mann vor mir, "ganz sicher." Es reicht mir. Ich sammle all meine Kräfte. Mit einem kräftigen Rücktritt zwischen die Beine des Mannes hinter mir, reiße ich mich los. Die Hände immer noch zusammengebunden laufe ich los. Das einzige was ich jetzt tun kann. Der Überraschungseffekt lässt mir einige wertvolle Sekunden Vorsprung. Ich drehe mich nicht um, ich schaue nicht links nicht rechts, nicht nach vorne nur auf den Waldboden. Die Äste, die mir ins Gesicht peitschen, sind nichts gegen das Adrenalin, das durch meinen Körper strömt. Fast wie beflügelt laufe ich immer weiter. "Au", fluche ich. Anscheinend muss ich gegen etwas gestoßen sein. Benommen falle ich hin. Hinter mir höre ich schnelle Schritte.

"Sehr schön", sagt der Anführer der Gruppe, beugt sich über mich und lächelt. Erschrocken versuche ich, rückwärts wegzukriechen. Neben ihm stehen zwei Jungen und dahinter noch einige Männer. Der eine Junge, dem Aussehen zu urteilen, ist sein Sohn. Ein hämisches Grinsen verzieht sein Gesicht zu einer bösartigen Fratze, die mich abschätzend mustert. Der andere, Kris, hingegen beobachtet alles schweigend. Er mustert mich auch, jedoch mehr interessiert. Die beiden Soldaten, die mich vorhin festgehalten haben, kommen keuchend an. "Sie", sagt der eine, während er tief Luft holt, "sollte...Hochsicherheitsgefängnis ...Bedrohung... für...alle." "Vielen Dank meine Herren", sagt der Anführer, "aber dies ist nun Angelegenheit des V-Kommandos und der Regierung. Aran, Kris, würdet ihr sie bitte abführen." Der Sohn des Offiziers greift sofort nach meinen Armen, während der Andere kurz überlegt. Dann ziehen sie mich hoch. Sie bringen mich zu ihren Fahrzeugen.

Über das Funkgerät gibt der Anführer meine Festnahme bekannt. Ich schweige die komplette Fahrt über und schenke ihnen nur abwertende Blicke. Dennoch versuche ich herauszufinden, wer dieser Junge ist und warum er sich so seltsam verhält. Es scheint eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis wir endlich ankommen. Ich vermute, dass ich jetzt in ein Gefängnis komme, meinetwegen werde ich für Naan und unseren Traum auch sterben. Ich werde schweigen und mein Schicksal annehmen, wenn es so kommt, das schwöre ich mir selbst.

 

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