Der Staat Kapitel 44

4. Mai 2062, 16:30, Pannonien, Vorort, Außenposten des V-Kommandos

 

Ein wütender, aufgelöster und verdammt angefressener Carik stürmt ins Nebenzimmer des Verhörraumes in welchem Julian nun schon seit einigen Stunden gemütlich dasitzt und Kaffee trinkt, während Carik, der Offizier und eine Frau von der Polizei ihn abwechselnd mit Fragen bombardieren, auf die er alle samt und sonders nicht antwortet.

Erst sind die Angebote gekommen: Zeugenschutzprogramm, eine Wohnung in Wien, ein Ausbildungsplatz an unserer Universität, all diese schönen Dinge.

Als das keinerlei Wirkung gezeigt hat, hat man begonnen, ihn langsam mit den Drohungen und Konsequenzen wie Zwangsarbeit, Freiheitsentzug, Verbannung und was da sonst noch im vertretbaren Rahmen der Justiz ist, unter Druck zu setzen. Mit jeder Minute sind die drei lauter geworden.

Das Ergebnis davon sind eine leere Kekspackung meinerseits und ein inzwischen teetrinkender Julian, da der Inhalt der Kaffekanne irgendwann ebenfalls zur Neige gegangen ist.

"Ich könnte…", braust der Kommandant auf, beherrscht sich krampfhaft und schlägt nicht den Tisch zu Splittern, an dem Aran, Milet und ich gerade sitzen.

"Lassen wir ihn schmoren", kichert der Offizier böse, welcher direkt hinter Carik aus dem Verhörraum kommt und weist eine Wache an, Julian Essen und Trinken abzunehmen und die Tür zu verschließen.

 

Bereits eine Stunde danach beginnt die Selbstgefälligkeit aus Julians Gesicht zu weichen.

Jetzt sitzt er nur noch stumm da, starrt auf die leere, metallene Tischplatte vor sich, reibt an seinen Handschellen herum, blinzelt so schnell wie eine Schnecke kriechen kann und atmet tief, aber angespannt.

In seinen Augen liegt keine Reue, keine Scham für das, was er getan hat. Er hat Sami kurz vor Tihanas Entführung getroffen, ihn wahrscheinlich auch noch zum Tatort begleitet und allem Anschein nach zu allem Überfluss außerdem mit Ausrüstung versorgt. Mithilfe zu Entführung.

Da ist nur ein tiefer, undurchdringlicher See aus Abscheu, Hass und unlösbar verwurzeltem Widerstand. Wobei das Wort 'Widerstand' das, was sich im Grün seiner Iris widerspiegelt, nicht auch nur ansatzweise stark genug beschreibt. So als würde man Kieselstein zu einem Felsbrocken sagen.

Ich persönlich habe ja schon mit mir selbst gewettet, wie lange ich es wohl noch aushalten werde, still dazusitzen und abzuwarten, wenn Tihana dort draußen wer weiß wohin gebracht wird…

 

"Kommandant", gehe ich entschlossen und bestimmt auf Carik zu: "Ich möchte darum bitten, selbst mit Julian zu sprechen."

Er schaut mir für einen Moment ernst, abschätzend in die Augen und meint dann in Richtung einer Wache: "Bring ihn rein. Aber nimmt ihm vorher alle Waffen ab."

Der Mann will mich wieder nach draußen auf den Flur begleiten, da trage ich den Hauptbestandteil meines Anliegens vor: "Ahm, wäre es möglich, dass niemand bei diesem Gespräch mithört?"

Jetzt habe ich Cariks volle und ungeteilte Aufmerksamkeit: "Ich hoffe, du hast dafür einen triftigen Grund?", kommt dann diese eine Frage, die ich unbedingt vermeiden wollte.

"Ja. Ich möchte sein Vertrauen gewinnen", erkläre ich mit einem leichten Zittern in der Stimme, hänge schnell an: "Das wird nur funktionieren, wenn ich ihm versichere, dass er mir erzählen kann, was auch immer er möchte, ohne aufgezeichnet zu werden."

"Ein gutes Argument. Aber du könntest auch einfach lügen", verzieht der Offizier leicht abschätzig seine Mundwinkel.

"Sir, ich versuche hier das Vertrauen von jemandem zu gewinnen, der uns überhaupt nicht wohlgesonnen ist. Wenn mir nur ein Fehler unterläuft, war es das", antworte ich verbissen höflich.

"Vielleicht sollten wir dann jemanden mit etwas mehr Erfahrung schicken", schlägt die Frau von der Polizei daraufhin vor und greift schon zu ihrem Telefon.

Da erhebt Carik die Hand und stoppt alle Vorgänge im Raum mit einer knappen, kräftigen Geste und meint dann: "Nein. Ich glaube, wir können niemand besseren bekommen, als Kris. Er hat es schon damals bei Tihana geschafft, die ebenfalls so ein aussichtsloser Fall war", dann weist er den Wachmann an: "Gib ihm, was er braucht."

"Habe ich dein Wort, als Kommandant und als Vater, dass nicht ein Fetzten dieses Gesprächs nach außen dringen wird?", vergewissere ich mich, Carik direkt in seine stahlgrauen Augen mit dem leichten blauhauch blickend.

Er nickt.

 

Julian hebt den Blick, als sich die Tür öffnet, hinter mir wieder schließt.

"Was willst du? - Mich auch erst höflich befragen, dann mir die Welt versprechen und abschließend noch wegen der guten Manieren drohen?", bringt er sarkastisch hervor.

"Nein", beginne ich langezogen und ruhig, setzte mich auf den unbequem harten Stuhl ihm gegenüber: "Eigentlich habe ich etwas Anderes vor. - Aber wenn dir das vorhin so gut gefallen hat…" Ich lehne mich anbietend nach vorne.

"Gut. Spaß beiseite", setze ich neu an. Mann, verdammte *! Wie oft bin ich das jetzt im Kopf durchgegangen? Wie viele gute Phrasen habe ich mir einfallen lassen? Alles nur, um nun wie ein Idiot auf seinen Sarkasmus einzugehen…

"Zuallererst möchte ich sagen, was auch immer hier in den nächsten Minuten für Worte fallen mögen. Nur du und ich bekommen sie zu hören. Sonst niemand."

Misstrauisch schaut er mich an, grinst schwach von oben herab auf meine Naivität, wie er meint.

"Und das hast du ihnen geglaubt?", lacht er auf.

Diesmal lasse ich mich nicht darauf ein, bewahre Ruhe und antworte ruhig, ihn direkt ansehend: "Ich bin der Zieh-Sohn des Kommandanten des V-Kommandos. Er hat mir höchstpersönlich zugesichert, dass wir unsere Ruhe haben werden."

"Du hast mir da gerade einen Grund geliefert, dir noch weniger zu vertrauen?", er hebt die Augenbraue, möchte sich vergewissern, ob ich mir im Klaren bin, was ich gerade gesagt habe.

"Das mag für dich vielleicht so aussehen. Aber dem ist nicht so." Ich muss eine kurze Pause machen. Mit ihm über meine Glaubhaftigkeit zu diskutieren bringt mich kein einziges noch so klitzekleines Schrittchen weiter.

"Kennst du Tihana?", wechsle ich das Thema.

"Also doch wieder Befragung, oder wie?" Er lehnt sich selbstsicher grinsend zurück. Als würde er sagen: 'Versuchs doch.'

"Also ja. - Ich - will sie eigentlich nur in Sicherheit wissen. - Verstehst du das?"

Julian lehnt sich verwundert, aber nicht desinteressiert nach vorne.

"Auch ja…", murmle ich. Überlege kurz, lege mir eine Struktur dessen zurecht, was ich im Begriff bin, zu sagen und beginne: "Keine Ahnung, ob du jemals in so einer Situation gewesen bist, aber für mich ist Tihana etwas ganz Besonderes." Wissend nickt er mehrmals langsam.

"Aber nicht nur so, wie du gerade denkst, auch auf eine zweite Weise. Schau, ich habe mein ganzes Leben im Staat verbracht. Und es war bis zu einem gewissen Punkt wirklich okay und alles. Aber dann plötzlich kam es mir so vor, dass es doch da draußen noch etwas Anderes geben muss als Weiß-Grau-Schwarz. Aber erst als Tihana dann auftauchte, habe ich einen Zugang zu dieser neuen Welt erhalten. Sie hat mir gezeigt, was alles sein kann. Sie ist die, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin. - Kennst du das, wenn ein Mensch für dich so viel getan hat, dass du aus reiner Dankbarkeit für die Sicherheit dieses Menschen sorgen möchtest?" Ich schaue ihm direkt in seine fragenden, grünen Augen.

Eine einzelne, durchsichtige, hell im Schein der Leuchtstoffröhren glänzende, ehrliche Träne fällt auf die Tischplatte direkt unter mir.

 

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