Der Staat Epilog 1 - Naan

8. Mai 2062, 8:01, Staat, Hochsicherheitsgefängnis

 

Es muss jetzt schon einige Tage - oder schon Wochen - her sein, dass mich der Staat in dieses Gefängnis gesteckt hat. Hier unter verliert man völlig das Gefühl für Zeit. Ständig versuchen die Wachen und 'Psychologen' mich in ihr System zu zwingen, aber das werden sie nicht schaffen. Ich muss an Emi, Tihana und all meine Freunde da draußen denken. Wie es ihnen wohl ergeht?

Mein Gedankengang wird von dem mittlerweile vertrauten Luftzug der Zellentür gestoppt.

"Du bist ja noch hier, ich habe gedacht, sie hätten dich schon rausgebracht. Dann muss es wohl ich machen, nicht wahr?", begrüßt mich der uralte Wachmann im selben sarkastischen Ton wie immer.

"Hallo, was willst du schon wieder?", antworte ich bissig.

Gespielt beleidigt glotzt er mich an. "Mein Junge, du könntest etwas höflicher sein, nachdem du gerade befreit wirst. Willst du dich bei deinem ehemaligen Gastgeber nicht entschuldigen?"

Hat dieser Mann gerade etwas über meine Freilassung gesagt, oder wie soll das gemeint gewesen sein. Doch ich erkenne den Sinn dieses Satzes: Er will mir die Freiheit versprechen, mit der Bedingung, dem System zu gehorchen und mich dann gleich wieder einsperren, nur um zu sehen, wie ich mich verhalten würde. Während meiner Gefangenschaft hat man mir einmal vorgetäuscht, alleine zu sein, bei welcher Gelegenheit ich sofort versucht habe, zu flüchten. Als ich dann durch den Ausgang gestapft bin, bin ich von Wachen empfangen worden. Diese Aussage über meine Freilassung ist bestimmt auch nur eine Lüge. Logisch auch. Was sollte das bitte für einen Sinn haben?

"Der war gut, Ludwig. Sag den anderen bitte, sie können gleich wieder zurück auf ihre Posten gehen, heute wird es keine Show geben.", verhöhne ich seine Aussage.

Auch wenn der Staat so etwas Absurdes nicht im Traum machen würde, irgendwas in den Augen des Wachmannes sagt mir, dass er nicht lügt. Vielleicht kann ich ihm die ganze Wahrheit entlocken, wenn ich mitspiele. "Aber…wer hat sich denn nun eigentlich dazu entschieden, den größten Verbrecher aller Zeiten einfach so laufen zu lassen?"

Er blinzelt. "Das neue Parlament höchstpersönlich. Ihr habt gewonnen, Naan. Ich habe die Dummheit dieser Menschen wohl unterschätzt."

Ehrlich? Es kann nur stimmen! So würde dieser Mann nicht reden, wenn es nicht die Wahrheit wäre. Endlich würde dieser Alptraum enden.

Ludwig muss meinen erfreuten Gesichtsausdruck bemerkt haben. "Ja, jetzt hast du ja endlich wieder einen Grund dein hässliches Lächeln zu zeigen. Doch was jetzt? Die Menschen da draußen können ohne das System nicht leben. Sie sind dumm wie kleine Kinder. Sie tun genau das, was man ihnen befiehlt. Dieses System hat wunderbar funktioniert. Wer nichts Anderes kennt, wird auch nichts Anderes wollen. - Naja, unser eigentliches Problem waren und sind ja auch diese störrischen Bauern. Man hätte sie einfach überrennen sollen und basta… - Dann wärst du niemals aufgetaucht…"

Ich unterbreche ihn: "Ja dann erklär mir bitte, wer die Nahrung dann produziert hätte. Selbst die Aufgeklärtesten von euch Staatlern wissen nicht, wie das geht."

Bevor er noch etwas erwidern kann, höre ich vom Gang her ein Poltern. Wer mag das wohl sein?

"NAAN! Endlich!", höre ich Tihana freudig in Richtung Zelle rufen. Nicht nur sie steht da im Gang. Auch Kris, Emi und Arik. Und mein Bruder. Er ist wohl auf unsere Seite gewechselt.

"Naan, schön dich zu sehen, auch wenn es unter solchen Umständen sein muss. Damit ist die Familie wieder zusammen!", begrüßt Carik mich in der neuen Welt.

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