Der Staat Epilog 2 - Tihana

8. Mai 2062, 8:01, Staat, Hochsicherheitsgefängnis

 

Die Mauern des Gefängnisses um mich herum beunruhigen mich, doch meine Ungeduld ist größer. Obwohl wir schnell gehen, kommt es mir vor, dass die Zeit nicht vergeht. Die kalten grauen Wände lassen mich frösteln.

Kris bemerkt meine Unruhe und versucht, mit Carik Blickkontakt herzustellen. Die Schritte hallen nur leise, trotzdem kommt mir das Geräusch viel zu laut vor. Endlich erblicke ich die Gefängniszelle. Die Tür steht offen und ich sehe, wie ein Wachmann mit einer mir wohl vertrauten Person spricht. Ich halte es nicht mehr aus, reiße mich von der Gruppe los und laufe einfach zu ihm hin. "Naan! Endlich!", rufe ich. Tränen laufen mir über die Wangen, während ich ihn umarme. Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet. "Tihana", sagt er und ich weiß, dass er lächeln muss.

Die folgenden Wochen gehören wohl zu den aufregendsten, aber auch schönsten Wochen in meinem Leben.

 

Es scheint, als würde sich die neue Freiheit auch langsam auf die Menschen übertragen. Da die Grenzen nun offener sind, finden wir viele Autos auf den Straßen nach Pannonien vor. Der Wind bläst meine Haare fort, während Kris sicher das Motorrad lenkt.

Wir fahren auch am Haus meiner Eltern vorbei, von dem ich schnell meinen Blick abwende. Seit ich abhauen bin, haben wir nur kurz miteinander gesprochen. Hoffentlich verzeihen sie mir die Sache irgendwann...

Obwohl viele Menschen das ihnen unbekannte Pannonien erkunden, sind Kris und ich die Einzigen auf dem Hügel. Ich zeige ihm die Wälder, in denen ich mich oft versteckt habe, und den kleinen See. Die Sonne glänzt auf dem dunkelgrünen Wasser. "Hast du eigentlich noch teure Sicherheitsausrüstung bei dir?", frage ich beiläufig. Er schüttelt lächelnd den Kopf. Ich grinse zurück. Noch bevor er realisiert, was das bedeuten soll, stoße ich ihn ins Wasser. Geistesgegenwärtig wie eh und je schafft Kris es, meine Hand zu packen und ich werde ebenfalls unter Wasser gezogen. "Verdammt ist das kalt!", fluche ich, als wir beide wieder Luft bekommen. Lachend versuchen wir beide, den anderen unter Wasser zu drücken. Schließlich begeben wir uns schlotternd ans Ufer. Doch da die Sonne recht stark scheint, trocknen wir schneller als gedacht. Wir unterhalten uns über das Vergangene, die Zukunft, bis wir schließlich einfach nur stumm nebeneinander sitzen. Es ist kein unangenehmes Schweigen, sondern mehr ein Zeichen der Vertrautheit. Als sich die Sonne zum Untergehen neigt, nehme ich seine Hand und führe ihn zur Kuppe des Hügels. Ein Teil der Wälder ist abgeholzt, so dass man bis nach Wien sehen kann. Auf der anderen Seite des Hügels befindet sich mein Heimatort. Und als die Sonne alles in ein letztes goldenes Licht taucht, da sehen die beiden Plätze gar nicht so verschieden aus. "Glaubst du, dass es funktioniert?", frage ich ihn, "Dass die Menschen frei und die Grenzen offener sein werden?" Nachdenklich blickt er zuerst nach Wien, dann auf meinen Heimatort und schließlich zu mir. "Ja, davon bin ich überzeugt", antwortet er lächelnd. Noch bevor ich weiß, was sein Lächeln bedeutet, fühle ich seinen Kuss. Und seit jenem Moment bin auch ich davon überzeugt, dass all diese Wünsche wahr werden können.

 

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