Karte der Welt des Azatin
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Leseprobe: Der Azatin - Die Rückkehr

Frühjahr des Jahres 859 n. K.

 

Prolog

Die Ebene zieht an mir vorbei. Auf den Äckern rings um mich werden Mais, Weizen, Gerste, Hirse ausgesät. Hier und da sind die Felder von schmalen Zäunen oder einzelnen Bäumen begrenzt. Die sonnenverbrannten Gesichter der Bauern bleiben stur auf den Boden geheftet. Die Ochsen mühen sich mit dem Pflug und den kleinen, lachend auf ihnen reitenden, Kindern ab.

Doch all das nehme ich nur verschwommen wahr. Amakuros Hufe fliegen nur so über den Schotterweg. Sein Atem bildet Wolken in der frühen Morgensonne. Mein langer, schwarzer Umhang weht hinter mir her, verschmilzt mit Amakuros pechschwarzem Fell, die Kapuze habe ich mir tief ins Gesicht gezogen. Mein Ziel ist die nächste Stadt, Beronburg. Alle Magier des Landes sollen sich dort auf Geheiß des Obersten des Magierbundes versammeln.

 

Der Weg mündet in eine breite, stark befahrene, steingepflasterte Straße. Das Klackern von eisenbeschlagenen Hufen teilt die Menschenmenge vor mir. Die Bauern wollen auf den Markt, um ihre Waren loszuwerden, die Händler gesellen sich zu ihnen. Vereinzelt fallen mir ein oder zwei Ritter zu Pferd mit ihrem Gefolge auf.

Sachte ziehe ich die Zügel an, bringe Amakuro in einen gemütlichen Trab. Vor mir erhebt sich die dicke Stadtmauer, mit ihren mächtigen Türmen. Das Stadttor wird von einer Gruppe Soldaten bewacht. Jeder, der ein- oder ausgehen will, wird kontrolliert. Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände aller Art werden mit größtem Argwohn betrachtet und dann entweder für okay befunden oder konfisziert.

Mittlerweile kann sich Amakuro nur noch im Schritttempo bewegen, so voll ist die Straße. Es ist wie an jedem anderen Markttag. Lauthals tönen die Warenanpreisungen durch die Straßen, ein Gemisch aus vielen Stimmen liegt über der gesamten Stadt.

Amakuros Hufe treten auf die hölzerne Zugbrücke.

Und schon wird eine Wache auf mich aufmerksam: "Name, Beruf, und Grund der Anwesenheit", fragt er mich monoton aus, dann fällt sein Blick auf mein prächtiges Schlachtross: "Ach ja, und die Passiersteuer."

"Vangat von Cheron. Magier. Ich bin hier wegen des großen Magiertreffens." Beim Klang meines Namens weiten sich die Augen der Umstehenden. Diesen Namen hat man seit sieben Jahren nicht mehr in Kerandel gehört. Nun, da ich zurück bin, wird er bald schon wieder in aller Munde sein...

"Was will ein Magier wie Sie mit einer solch prunkvollen Klinge wie der Ihren?", fordert die Wache Informationen.

Er weist auf meinen, an der rechten Hüfte hängenden, Anderthalbhänder mit den goldenen Griffverzierungen.

"Manchmal reicht Magie eben doch nicht aus." Wieso gebe ich eigentlich einer gewöhnlichen Stadtwache Auskunft?

"Führen Sie irgendwelche sonstige gefährliche Objekte, wie etwa magische Tränke und dergleichen, mit sich?", fährt er gelangweilt fort.

"Nein."

"Stellt Ihre Waffe in Ihren Händen in irgendeiner Weise Gefahr für andere dar?"

"Nein", antworte ich monoton.

"Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn ich kurz unseren Magieberater dazu befrage?"

"Nur zu." Wenn ich dadurch endlich in diese Stadt komme.

Der Berater tritt aus einer schmalen Tür, zieht mein Schwert ein Stück weit aus der Scheide, streicht mit dem Finger über die silbrig glänzende Klinge, murmelt etwas von 'sehr gut verarbeitet' und 'etwas ungewöhnlich für einen Magier'. Wenn der wüsste, was wirklich in dieser Klinge steckt…

Der Berater befindet mein Schwert für ungefährlich und verschwindet wieder.

"Dann dürfte ich noch um die Passiersteuer bitten", die Wache streckt die Hand aus: "Macht dann bitte zehn Gulden."

Aha, daher weht der Wind also? Wie gut, dass er meinen eiskalten, bedrohlich aggressiven Blick durch die Kapuze meines Umhangs nicht sehen kann. Nur weil ich ein Pferd und ein teures Schwert besitze, soll ich Passiersteuer zahlen? Aber ich bin ja nicht umsonst Magier…

Stumm lasse ich einige kleine Funken in meiner Handfläche tanzen. Sofort tritt mir die Wache mit einer leichten Verbeugung aus dem Weg: "Aber natürlich nicht für Sie", lächelt er unterwürfig und lässt mich passieren. Sogar einen schönen Tag wünscht er mir noch, während ich unter dem mächtigen Stadttor hindurchreite, eintrete in das kontrollierte Chaos der Stadt.

Wie leicht diese Normalsterblichen doch einzuschüchtern sind…

 

Kapitel 1: Bürokratie

Direkt hinter dem Stadttor, links in einer schmalen Seitengasse, duckt sich ein Stall in den Schatten der massiven Mauern. Hier habe ich vor, Amakuro für die Dauer meines Aufenthalts unterzubringen.

Ich steige ab, führe ihn an den Zügeln zum Eichenholzstalltor. Zweimal poche ich dagegen.

Ein stinkender und schmutzverkrusteter Stallbursche öffnet das Tor einen Spalt breit, streckt seinen Kopf heraus.

"Wie kann ich dienen?", will er schläfrig wissen.

"Ich möchte mein Pferd für einige Tage hier unterbringen."

"Wenn es länger als eine Woche sein soll, müssen Sie im Voraus bezahlen."

"So lange habe ich nicht vor, zu bleiben." Dieses Treffen sollte nach drei bis vier Tagen vorbei sein.

"Wie lange dann?"

"Fünf Tage. Sie erhalten Ihr Geld pünktlich am Morgen des fünften Tages unter der Bedingung, dass ich mein Pferd wohlbehalten und gut gepflegt auffinde", stelle ich meine Forderungen.

"Irgendwelche Extrawünsche? Tägliche Wäsche, Spezialfutter,…", bietet er an.

"Nein danke. Amakuro soll sich einfach ein paar Tage in einer sauberen Box entspannen können."

"Am Morgen des fünften Tages bekomme ich dann von Ihnen dreihundert Gulden."

"Ich bitte um Verzeihung, habe ich gerade dreihundert gehört oder irre ich mich da? Das erscheint mir etwas teuer zu sein?"

"Sie können auch fünfzig Gulden vorschießen und müssen dann nur mehr zweihundert begleichen", macht er mir ein Angebot. Das klingt schon besser.

"Gut", ich krame in meiner Satteltasche: "Hier haben Sie fünfzig. Ich sehe Sie dann in fünf Tagen."

Amakuros Satteltasche lege ich mir auf die Schultern und überreiche seine Zügel an den Stallburschen. Der lächelt mich dankbar an, verbeugt sich ehrerbietig und führt mein Pferd in den Stall. Jetzt brauche ich nur noch ein Quartier für mich selbst…

Eben möchte ich mich erneut in den Trubel auf der breiten Hauptstraße stürzen, da klopft mir jemand auf die Schulter. Eine junge, männliche Stimme meint belustigt: "Für diesen Heini von Torwächter machst du dir wegen zehn Gulden die Mühe und bedrohst ihn, aber du bezahlst klaglos diesen Wucherpreis für die Unterbringung deines Pferdes? Klär mich mal über deine Logik auf." Elias freundliche Stimme dringt unter seiner dunkelblauen Kapuze hervor.

"Die Wache war im Unrecht, der Stallbesitzer betreibt jedoch ein ehrliches Geschäft", gebe ich sachlich zurück.

"Jetzt komm schon, wo bleibt mein alter Freund? Vangat, derjenige, der einmal mächtigster Magier von ganz Kerandel werden wollte? Du warst doch sonst nicht so ernst?"

Meine Eisschicht bricht und eine feste Umarmung bringt mich zurück in die Tage meiner Kindheit und Jugend. Eine unbeschwerte Zeit, voller Spaß und ohne Verpflichtungen. Jeden Tag haben wir uns duelliert und dabei ganze Landstriche der Wildnis in verbrannte Ebenen verwandelt. Immer mit dem Wunsch in unseren Herzen, stärker als alle anderen zu werden.

"Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen", begrüße ich ihn freudig.

"Muss der Winter 851/52 gewesen sein, damals in den Bergen von Hrengarof. Wir beide noch kaum achtzehn. Das waren noch Zeiten", schwärmt er, sich aus der Umarmung lösend: "Und jetzt, im Frühjahr 859 begegnen wir uns wieder in dieser Provinzstadt, kurz davor, einer Magierversammlung beizuwohnen."

"Wo wir gerade dabei sind: Hast du eine Ahnung, wieso so etwas Bedeutsames hier, am Rande des Kaiserreichs, stattfindet?"

"Wo warst du die letzten paar Jahre eigentlich genau?", kommt es prompt interessiert zurück.

"Weit weg, sehr weit weg. Und trotzdem hat mich unsere Obrigkeit über dieses Treffen informiert." Sie haben mich sogar aus meiner Verbannung geholt, die eigentlich noch ein wenig länger andauern hätte sollen...

"Wenn du irgendwo in Kerandel gewesen wärst, hättest du sicher mitbekommen, was los ist: Das Schicksal des Kaiserreiches steht auf des Messers Schneide. Der Herrscher ist alt, vollkommen wirr und hat keinen Nachfolger. Du kannst dir sicher vorstellen, wie der Kaiser gerade von Adligen, die um seine Gunst buhlen, damit sie anschließend seinen Platz einnehmen können, belagert wird. Die Situation im Reich ist einfach zu unstabil. Nur hier, am Rande des Reiches der Menschen, ist es ruhig genug, um solch eine Versammlung ohne Probleme über die Bühne bringen zu können."

"Da hab ich aber ganz schön was verpasst?"

"Wenn dich Unmengen von politischen Debatten und leeres Gerede interessieren – ja. Aber sobald der Kaiser abtritt, wird die Hölle los sein. Er hat kaum einen vernünftigen Berater, Adligen oder sonst jemanden an seiner Seite, der sich um einen geeigneten Nachfolger kümmern könnte. Und jene, die es könnten, werden von denen überschattet, die aus eigenem, selbstsüchtigen Interesse der Suche nach einen rechtmäßigen Thronerben im Wege stehen. Das Ganze wird hoffentlich nur am Verhandlungstisch ausgetragen…"

"Also kommt das Interessante erst noch", schmunzle ich.

"Du wirst dich schnell entscheiden müssen. Sollte es zu einem Bürgerkrieg um die Krone kommen, will sicher keine Seite auf solch einen Magier wie dich verzichten."

"Wie dem auch sei...", brumme ich: "Lust zu kämpfen habe ich definitiv keine. Und ich bin nun auch nicht jemand, der einen ganzen Krieg entscheiden kann."

"Stimmt auch wieder. Aber du tanzt förmlich mit der Magie und ich habe gehört, du hast die reine Energie gemeistert?"

"Reine Übungssache", winke ich ab: "Außerdem ist diese 'reine Energie' wirklich nicht so schwierig."

"Jetzt spiel doch nicht immer alles herab. Aber, wieso testen wir es nicht gleich direkt? Wie wär's? Wie in alten Zeiten?" Er streckt mir die Hand hin. Ein Duell…, etwas Übung kann nie schaden.

"Wie in alten Zeiten", antworte ich und ergreife die dargebotene Hand.

"Heute Abend, auf der Ebene östlich von hier."

"Ich werde da sein."

"Ich würde dir gerne die Stadt zeigen, unglücklicherweise habe ich aber noch etwas zu erledigen. Also wir sehen uns dann", fröhlich grinsend taucht Elias in der Menge unter.

Jetzt brauche ich immer noch einen Platz zum Schlafen.

Ich schlendere über den Hauptplatz, rundum befinden sich diverse Gasthäuser und Tavernen verschiedener Preisklassen. Ein Gasthof, ich schätze ihn in der mittleren Preisklasse ein, sticht mir ins Auge. Der Name 'Zum krähenden Auerhahn' sagt mir irgendwie zu. Einige runde Tische stehen unter einem Vordach, welches gleichzeitig als Terrasse fungiert, und laden zum Entspannen bei einem Gläschen Wein ein. Erschöpft von der weiten Reise lasse ich mich auf einem der Holzstühle nieder, lege die Satteltasche vor mir auf den Tisch.

Einen kurzen Moment lang lasse ich den Trubel vom Markt auf dem Hauptplatz einfach an mir vorbeigehen, atme einige Male kräftig durch.

Ein Kellner eilt herbei: "Was darf ich Ihnen anbieten, Sir?"

"Ein Glas Rotwein und irgendetwas Nahrhaftes zum Essen."

"Wir hätten heute einen Bohneneintopf mit Speck im Angebot. Geht das in Ordnung?"

"Immer her damit."

"Sir, eine kleine Bitte. Wären Sie so freundlich, Ihre Kapuze abzustreifen? Wir haben strikte Vorschriften aufgrund jüngster Ereignisse im Kaiserreich. Dient der Sicherheit. So kann niemand Probleme bekommen."

"Wenn Sie meinen…", wenn sie unbedingt mein Gesicht sehen wollen…

Ich streife die Kapuze nach hinten, entblöße meine halblangen, strohblonden Haare, Drei-Tage-Bart, azurblaue Augen und eine hässlich tiefe Narbe vom Hieb der Klaue eines vermaledeiten Kichernden Todes, welche quer über meine rechte Gesichtshälfte, mitten durch das Auge, weiter meinen Hals hinab, bis knapp unter das Schlüsselbein, verläuft. Mein rechtes Auge wurde nach diesem Klauenhieb von einer äußerst begabten Hexe wiederhergestellt und obendrein leicht aufgebessert. Doch der einzige äußerlich erkennbare Unterschied zum linken Auge, ist der leicht dunklere Farbton.

 

Beim Anblick der Narbe weicht der Kellner etwas zurück: "D-Danke S-Sir", stottert er und macht sich davon, um zwei Minuten später mit dem bestellten Glas Rotwein und dem Bohneneintopf zurückzukommen.

"Wie viel macht das?"

"A-Acht Gulden, Sir."

"Hier nehmen Sie zehn und reservieren mir ein hübsches Zimmer, am besten eines mit Schreibtisch."

"Wird sofort erledigt!" Er verneigt sich und schreitet in das Gasthaus.

Hungrig von der langen Reise, mache ich mich über meine, wenn auch eher einfache, Mahlzeit her.